31 January 2020

Autor: Jean-Pierre Külling, Dietlikon, Schweiz

Wachstum um jeden Preis!

Kapitalismus und Wirtschaftswachstum: Eine unheilvolle Symbiose

Die Frage, ob Wachstum und Kapitalismus um jeden Preis wünschenswert sind, steht im Raum. Es ist von untergeordneter Bedeutung, welche Auswirkungen dies hat. Wir leben in einer Welt, die von der Idee des ewigen Wirtschaftswachstums besessen ist trotz schwindender Regenwälder, schmelzender Gletscher und der Endlichkeit unserer natürlichen Ressourcen. Die Zwänge dieses Systems, das auf Kapitalismus und Wachstum basiert, sind allgegenwärtig und wirken sich in vielfältiger Weise aus. Der Film "System Error" von Florian Opitz beleuchtet die Mechanismen des Kapitalismus und zeigt auf, wie dieser immer mehr Lebensbereiche durchdringt, die Natur verschlingt und sich letztlich selbst untergräbt. Diese Entwicklung wurde bereits vor über 150 Jahren von Karl Marx prognostiziert. Zum Film

Warum ewiges Wachstum?

Kapitalismus und Wirtschaftswachstum gehen Hand in Hand. Doch warum ist ewiges Wachstum notwendig? Kapitalistische Systeme basieren auf Wettbewerb, Profitmaximierung und Kapitalakkumulation. Dies bedeutet, dass Unternehmen ihre Absatzzahlen kontinuierlich steigern müssen, um ihre Gewinne zu maximieren. Banken vergeben Kredite mit Zinsen, was zusätzlichen Wachstumsdruck erzeugt. Diese Dynamik führt zu einer Spirale aus ständigem Konsum und Ressourcenausbeutung. Das Wirtschaftswachstum ist dabei von essenzieller Bedeutung für das Funktionieren des Systems. Ohne Wachstum drohen Rezession, Arbeitslosigkeit und Instabilität. 

Wie weit kann das Wachstum gehen?

In seinem Film befragt Florian Opitz Spitzenmanager und Banker zu ihrer Einstellung gegenüber Wachstum und Fortschritt. Die Antworten sind bezeichnend: Eric Chen, der Chef von Airbus in China, sieht in dem Wachstum des Unternehmens auch unter den gegebenen Umständen einen Erfolg. Ein Sojaproduzent in Südamerika sieht keine Veranlassung, Teile des Amazonas zu schützen, während ein ehemaliger Hedgefonds-Manager Fracking als unvermeidbaren Fortschritt betrachtet. 

Diese Denkweise kann als eine Art Religion bezeichnet werden, in der Wachstum unhinterfragt verherrlicht wird, während die Kosten für Menschen und Umwelt ignoriert werden. Ein weiteres Beispiel für die unkritische Wachstumslogik ist der Börsenhandel, der inzwischen stark computergesteuert ist. Dadurch entstehen potenziell unkalkulierbare Risiken für die globale Wirtschaft.

Die Verlierer des Systems

Soziale Ungleichheit 

Das kapitalistische System konzentriert Wohlstand in den Händen weniger, während grosse Teile der Bevölkerung kaum von wirtschaftlichem Wachstum profitieren. Unsichere Arbeitsverhältnisse und prekäre Löhne prägen die Lebensrealität vieler Menschen.

Globale Ungleichheiten

Entwicklungsländer werden oft auf die Rolle von Rohstofflieferanten reduziert, während Industrienationen den Grossteil der Wertschöpfung einstreichen. Der Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Wasser oder Energie ist für viele Menschen nach wie vor stark eingeschränkt.

Die Natur als Opfer

Die Natur leidet unter kapitalistischen Strukturen: Ressourcen werden schneller verbraucht, als sie sich regenerieren können. Die Abholzung der Wälder, die Erosion der Böden und die Überfischung der Ozeane sind nur einige Beispiele für die Zerstörung der Umwelt durch den Kapitalismus. Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen hat gravierende Konsequenzen: Klimawandel, Artensterben und Umweltzerstörung sind die Folge.

Ressourcenverbrauch und planetare Grenzen

Der Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt werden von unserem Wirtschaftssystem weiterhin ignoriert, obwohl unser Planet endlich ist. Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wie fossilen Energien oder seltenen Metallen ist begrenzt, sodass eine weitere Belastung der Umwelt nicht unbegrenzt möglich ist. Das Konzept der planetaren Grenzen definiert Schwellenwerte, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems Erde gefährdet. Derzeit werden jedoch zahlreiche dieser Grenzen überschritten, was gravierende Konsequenzen für Klima, Biodiversität und künftige Generationen hat.

Es gibt durchaus Alternativen

Ansätze, die einen angemessenen Wohlstand ermöglichen könnten, ohne die Natur zu überlasten, sind beispielsweise:

Postwachstumsökonomie

  • Fokus auf Lebensqualität statt auf unendliches Wachstum.
  • Förderung lokaler Wirtschaftskreisläufe, Ressourcenschonung und gerechte Verteilung von Arbeit.

Gemeinwohl-Ökonomie

  • Unternehmen priorisieren ökologische und soziale Werte.
  • Gemeinwohl-Bilanzen dienen der Erfolgsmessung und nicht der Gewinnermittlung.

Kreislaufwirtschaft

  • Ressourcen bleiben in geschlossenen Kreisläufen, Abfälle werden minimiert.
  • Durch Recycling und die Verwendung langlebiger Produkte kann der Verbrauch reduziert werden.

Degrowth (Schrumpfungswirtschaft)

  • Gezielte Reduktion des wirtschaftlichen Outputs in reichen Ländern, um ökologische Schäden zu minimieren.
  • Förderung von Bildung, Gemeinschaftsprojekten und Lebensqualität.

Technologische und soziale Innovationen

  • Ausbau erneuerbarer Energien und ressourcensparender Produktionsweisen
  • Es gilt, Bildung und soziale Absicherung zu fördern, statt den Fokus allein auf materiellen Wohlstand zu legen.

Wie lässt sich der Begriff der Zufriedenheit definieren?

  1. Nachhaltigkeit: Eine wesentliche Voraussetzung für Zufriedenheit ist, dass die Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen agiert und Ressourcen geschont werden.
  2. Grundbedürfnisse: Eine Gesellschaft kann dann als zufrieden gelten, wenn alle ihre Mitglieder über einen guten Lebensstandard verfügen und dabei die Umwelt nicht weiter belasten.
  3. Qualitatives Wachstum: Im Mittelpunkt sollten nicht allein wirtschaftliche Kennzahlen, sondern auch Aspekte wie Lebensqualität, Gesundheit und Bildung stehen.
  4. Soziale Balance: Eine gerechte Verteilung von Wohlstand und die Verringerung von Ungleichheiten könnten als neue Massstäbe für Erfolg gelten.

Fazit

Das Konzept des ewigen Wachstums wird durch Kapitalismus und Wirtschaftswachstum angetrieben. Diese Logik führt jedoch zu klaren Nachteilen für die Umwelt, die sozialen Strukturen und viele Menschen, die nicht vom Wohlstand profitieren. Um eine nachhaltige Zukunft zu sichern, ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Gesellschaften müssen sich von der Wachstumsfixierung lösen und Modelle entwickeln, die Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Lebensqualität in den Mittelpunkt stellen. Das ist nicht nur möglich, sondern auch entscheidend für das Überleben unseres Planeten.